Haftungsvermeidung wegen COVID-19-bedingter Leistungsstörungen durch Force-Majeure-Klauseln?
Haftungsvermeidung wegen COVID-19-bedingter Leistungsstörungen durch Force-Majeure-Klauseln?
Unmöglichkeit und Vorhersehbarkeit
Nach den meisten Rechtsordnungen kann eine Befreiung des Schuldners von seiner Verpflichtung zur Leistung und im Falle der Nichtleistung zum Schadensersatz nur unter zwei Voraussetzungen erfolgen, nämlich der Unmöglichkeit der Leistungserbringung und einem fehlenden Vertretenmüssen der Unmöglichkeitsursache.
Die Doktrinen der unterschiedlichen Rechtsordnungen unterscheiden sich, kommen aber nahezu stets zu gleichen oder vergleichbaren Ergebnissen. Besonders gut beschrieben finden sich die Befreiungsvoraussetzungen in Art. 79 des UN-Kaufrechts. Wie auch nach deutschem Inlands-Recht erfolgt eine Befreiung von der Schadensersatzpflicht nur im Falle unüberwindlicher Hindernisse, also einer Leistungsunmöglichkeit, und auch nur, wenn diese Hindernisse objektiv bei Vertragsschluss nicht vorhersehbar waren und deshalb auch nicht zu vertreten sind. Solche Fälle sind selten.
Nach den meisten Rechtsordnungen, insbesondere auch nach deutschem Recht, genügt für die geforderte Unmöglichkeit eine bloße, auch enorme Leistungserschwerung nicht; insbesondere reicht eine Verteuerung der Beschaffung, sei es wegen eines gestiegenen Marktpreises für die zu beschaffenden Waren oder Leistungen, sei es wegen erheblich verteuerter Transporte, nicht aus.
Befreiungsvoraussetzungen wegen höherer Gewalt mit und ohne Klauselverwendung
Es stellt sich deshalb die Frage, ob durch entsprechende Vertragsgestaltung das grundsätzlich dem Schuldner obliegende Beschaffungs- oder Lieferungsrisiko auf den Gläubiger verlagert werden kann.
Regelmäßig erfolgt dies nicht durch Individualabrede, sondern durch die Verwendung von so genannten Höhere-Gewalt- Klauseln, die meist - wie auch die von der Rechtsprechung entwickelte Erleichterung für den Schuldner in Fällen wegfallender Geschäftsgrundlage - zunächst nur eine befristete Befreiung für die Dauer des Leistungshindernisses gewähren; einen völligen Wegfall der Leistungspflicht und damit verbunden auch der Verpflichtung zum Schadensersatz sehen diese Klauseln entweder erst bei unabsehbar langer Dauer des Leistungshindernisses oder bei Entscheidung des Gläubigers, die Leistung nicht mehr in Anspruch nehmen zu wollen, vor.
Grundsätzlich unterscheidet man zwei Kategorien von Fällen so genannter höherer Gewalt, nämlich die so genannten Naturkatastrophen (act of god) und die rechtlichen Eingriffe (act of prince). Für Letztere hat sich insbesondere in Kriegszeiten (Feindhandelsverbote) eine sehr ausdifferenzierte Rechtsprechung mit den insbesondere auch zeitlichen Voraussetzungen befasst.
Kurz zusammengefasst kann man Folgendes festhalten: Eine Leistungsbefreiung des Schuldners und ihr folgend eine Befreiung von der Schadensersatzpflicht wegen Vertragsverletzung kommt auch ohne Verwendung von Höhere-Gewalt-Klauseln in Betracht, wenn das Leistungshindernis zur Unmöglichkeit der Leistung führt und bei Vertragsschluss nicht vorhersehbar war.
Wenn das Leistungshindernis bei Vertragsschluss vorhersehbar war, bedarf es einer Klausel, die möglichst klar den Höhere-Gewalt-Fall erfasst, also in der gegenwärtigen COVID-19-Virus-Pandemie die verhängten staatlichen Eingriffe. Da es sich bei den jedenfalls bisher bekannten Maßnahmen nicht um direkte Leistungsverbote handelt, wie etwa Feindhandelsverbote in Kriegszeiten, sondern um nur mittelbar leistungshindernd wirkende Maßnahmen, reicht eine allgemeine Bezugnahme auf "epidemie- oder pandemiebedingte Leistungserschwerungen oder - hindernisse" nicht aus. Die voraussehbaren, weil etwa bereits angekündigten oder aus anderen betroffenen Regionen bekannten Maßnahmen, etwa eine allgemeine Quarantänepflicht nach Auslandsaufenthalten, Kontaktverbote usw. müssen dann konkret benannt werden. Regelmäßig wird ja nicht die Vertragserfüllung untersagt, sondern lediglich die Beschaffung oder Herstellung der vertraglich geschuldeten Waren, bzw. wird die Erbringung der versprochenen Leistungen erheblich erschwert oder unmöglich gemacht.
Befreiung nach Eintritt leistungshindernder Ereignisse
Unbedingt erforderlich für eine Befreiung von der Leistungspflicht ist die Verwendung einer Höhere-Gewalt-Abrede immer dann, wenn die leistungserschwerenden oder - verunmöglichenden Hindernisse bereits eingetreten oder konkret absehbar sind, weil Maßnahmen etwa bereits verabschiedet und nur noch nicht in Kraft getreten sind. Bei Vertragsschluss unter solchen Bedingungen verspricht der Schuldner dem Gläubiger, die Leistung trotz solcher konkret vorhergesehener Hindernisse zu erbringen, übernimmt also eine verschuldensunabhängige Garantie. Er hat dann die Nichterbringung der Leistung stets zu vertreten, es sei denn, er hätte den Umfang seiner Leistungspflicht insofern ausdrücklich beschränkt.
Da in Fällen bereits eingetretener Leistungserschwerungen oder -hindernisse, oder wenn diese konkret vorhersehbar sind, eine entsprechend konkrete Regelung zur Leistungsbefreiung erforderlich ist, kann kein allgemeiner, umfassender Klauselformulierungsvorschlag erfolgen. Vielmehr muss für jede Situation der Klauseltext entsprechend situationsgerecht formuliert werden. Bei internationalen Vertragsbeziehungen sind insoweit gegebenenfalls die tatsächlichen und vor allem rechtlichen Bedingungen in mehreren Ländern zu berücksichtigen, etwa weil der Transport durch Gebiete erfolgen soll, die z.B. eine Einreise- und Durchzugssperre verhängt haben oder für bestimmte Güter ein Verbot der Veräußerung ins Ausland besteht.
"Maßgeschneiderte" Klauseln
Eine solche "maßgeschneiderte" Höhere-Gewalt-Klausel sollte sich nicht nur mit den Voraussetzungen der Befreiung von Leistung und gegebenenfalls Schadensersatz befassen, sondern auch mit den Klauselwirkungen. Oft liegt es nicht im Interesse des Schuldners, dass die Leistungserbringung sofort vollständig entfällt; vielmehr würde er gerne am Geschäft und der Geschäftsbeziehung festhalten und lediglich eine zeitliche Verlängerung zur Leistungserbringung erhalten.
Eine Klausel kann dann abgestufte Wirkungen derart enthalten, dass z.B. zunächst der Zeitraum zur Leistungserbringung verlängert wird, erst danach oder bei unabsehbarer Dauer gänzlich entfällt und/oder dem Gläubiger ein Wahlrecht eingeräumt wird, auf die Leistung von vornherein gänzlich zu verzichten, diese auch später zu akzeptieren und gegebenenfalls insoweit (anteilig) Mehrkosten zu tragen.
Insofern darf nicht außer Betracht bleiben, dass der Schuldner regelmäßig selbst nicht sicher weiß, ob und wann er zur Leistungserbringung in der Lage sein wird, nicht nur weil die staatlicherseits verhängten Maßnahmen in Dauer und Wirkung nicht absehbar sind, sondern auch weil tatsächliche Gegebenheiten, etwa Zulieferungen oder Transportmöglichkeiten, unsicher sind oder werden können. Für eine gelungene Höhere-Gewalt-Klausel und effektive Entlastung oder gar Befreiung ist deshalb juristischer Rat auf der Basis vollständiger Information erforderlich.
Selbstbelieferungsvorbehalt
Wenn das Unvermögen zur Leistungserbringung darauf beruht, dass der Vorlieferant seine Verpflichtungen nicht erfüllt hat, dann wird der Verkäufer von seiner Leistungspflicht und damit auch der Verpflichtung zur Schadensersatzleistung frei, wenn er einen so genannten Selbstbelieferungsvorbehalt vereinbart hat und - das ist entscheidend - einen kongruenten Deckungskauf abgeschlossen hat, also die Ware, die er verkauft hat, auch in ausreichender Quantität und gleicher Qualität eingekauft hat.
Betriebsstörungsklauseln
Bloße Betriebsstörungsklauseln, die sich gewöhnlich nur allgemein auf "Betriebsstörungen" beziehen, umfassen zwar regelmäßig auch Arbeitskampfmaßnahmen oder etwa durch Brand verursachte Betriebsstörungen, nicht jedoch pandemieverursachte hoheitliche Maßnahmen; sie helfen daher nicht.