Ersatzansprüche gegen den Staat wegen der Covid-19-Bekämpfungsmaßnahmen?
Gastronomen, Hoteliers, Betreiber von Fitnessclubs, Reisebüroinhaber und viele andere Gewerbetreibende in Deutschland waren seit Mitte März 2020 an der Ausübung ihres Gewerbes teilweise oder vollständig gehindert. Diese Maßnahmen dauern bis zum heutigen Tag zumindest in abgeschwächter Form an. Es stellt sich für die Betroffenen die Frage, ob diese Eingriffe Staatshaftungsansprüche auslösen.
Corona-Viren schließen keine Geschäftsbetriebe, verfügen keine Kontaktverbote und verpflichten niemanden zum Tragen von Nasen-Mund-Schutz. Es ist der Staat ‑ in Deutschland die Bundesrepublik und die einzelnen Bundesländer ‑ der vor allem durch Verordnungen solche Maßnahmen verhängt. Für Gewerbetreibende stellt sich die Frage, ob sie für ihre oft exorbitanten wirtschaftlichen Einbußen bis hin zur Existenzvernichtung Entschädigung erhalten können.
Rechtsgrundlagen
Rechtsgrundlage für Entschädigungsansprüche können Enteignung und enteignungsgleicher Eingriff sein. Nach der älteren Rechtsprechung mussten für Ansprüche aus enteignungsgleichem Eingriff zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Es musste von hoher Hand rechtswidrig in eine durch Art. 14 GG (Eigentumsgarantie) geschützte Rechtsposition unmittelbar eingegriffen worden sein, die hoheitliche Maßnahme musste also unmittelbar eine Beeinträchtigung des Eigentums herbeiführt haben. Dadurch musste dem Eigentümer ein besonderes, anderen nicht zugemutetes Opfer für die Allgemeinheit (sogenanntes Sonderopfer) auferlegt worden sein.
Die neuere Rechtsprechung verzichtet bei rechtswidrigen Eingriffen auf den Nachweis einer konkreten Sonderopferlage. Die Auferlegung eines Sonderopfers erschließt sich vielmehr gerade und allein aus der Unrechtmäßigkeit des Eingriffs. Eingriffe, die im Falle ihrer Rechtmäßigkeit durchaus als entschädigungsfreie Konkretisierung der Sozialpflichtigkeit des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 GG) anzusehen wären, legen danach dem Betroffenen bereits wegen ihrer Rechtswidrigkeit ein Sonderopfer auf. Die Rechtswidrigkeit des hoheitlichen Eingriffs wird ‑ neben anderen Voraussetzungen – damit zum anspruchsbegründenden Merkmal: Alle rechtswidrigen Rechts- oder Realakte der öffentlichen Gewalt, durch die unmittelbar von Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Rechte beeinträchtigt werden, erfüllen den Tatbestand des enteignungsgleichen Eingriffs, unabhängig davon, ob sie gezielt gegen diese Rechte gerichtet sind und ob die öffentliche Gewalt schuldhaft gehandelt hat. Zu den durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Rechten zählt nach ständiger Rechtsprechung das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann zwar in einem förmlichen Gesetz kein entschädigungspflichtiger enteignungsgleicher Eingriff gesehen werden (BGHZ 6, 270, etc.); die mit COVID-19 begründeten Eingriffe in durch Art. 14 GG geschützte eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetriebe erfolgen aber gerade nicht durch Gesetz, sondern durchweg durch Rechtsverordnungen oder Allgemeinverfügungen i.S.d. § 35 VwVfG. Die Betroffenen müssen auch nicht vorrangig gegen diese Regelungen vorgehen. Da mehrere Millionen Gewerbebetriebe zugleich betroffen waren und sind, ist das weder möglich noch zumutbar. Gerade für solche Fälle ist das Haftungsinstitut des enteignungsgleichen Eingriffs entwickelt worden.
Rechtmäßigkeit von Eingriffen in den Gewerbebetrieb?
Entscheidend ist daher, ob die Eingriffe der öffentlichen Gewalt in eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetriebe der betroffenen Gewerbetreibenden durch rechtswidrige Rechtsakte verübt wurden.
Grundlage der Verordnungen und Allgemeinverfügungen der Bundesländer sind §§ 5, 32 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (IfSG). Nach § 32 IfSG sind die Bundesländer zum Erlass von Rechtsverordnungen im Kontext der Corona-Krise grundsätzlich befugt. Die formellen verfassungsrechtlichen Anforderungen an solche Verordnungen dürften daher erfüllt sein.
Durchaus fraglich ist aber, ob dies auch in materiell-rechtlicher Sicht zutrifft:
Jedes staatliche Handeln unterliegt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit: Es ist immer das mildeste Mittel zur Erreichung des der Maßnahme zugrunde liegenden Zweckes anzuwenden. De facto wurde eine Vielzahl von Gewerbebetriebe in Quarantäne geschickt, um eine Eindämmung der Pandemie zu erreichen.
Es wurden also (auch) gesunde Personen an der Ausübung ihrer Tätigkeiten verhindert und nicht, wie traditionell bei Quarantänen üblich, lediglich die Erkrankten oder Infizierten (oder die Risikogruppen). Vielfach wird daher vertreten, dass es mildere Mittel zur Bekämpfung des Virus gegeben hätte: Beispielsweise hätte man regelmäßige Tests der Mitarbeiter, Hygienemaßnahmen und auf geographische Gebiete enger begrenzte Maßnahmen anordnen können. Ob die Anordnungen der Bundesländer verhältnismäßig waren, werden die Gerichte zu entscheiden haben.
Möglicher Umfang des Anspruchs
Der Anspruch wegen enteignungsgleichen Eingriffs ist inhaltlich auf eine Entschädigung, nicht auf (vollen) Schadensersatz im Sinne der §§ 249, 252 BGB gerichtet. Maßgeblich ist also in erster Linie der (Verkehrs-)Wert der entzogenen Substanz, nicht aber der entgangene Gewinn bzw. eine hypothetische Vermögensentwicklung.
Das sieht allerdings im Ergebnis anders aus, wenn wegen vorübergehender Eingriffe in einen eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb zu entschädigen ist. Eine „angemessene Entschädigung“ ist dann derjenige Betrag, den der Gewerbebetrieb infolge des Eingriffs weniger als ohne den Eingriff" abgeworfen hat. Dies läuft im Ergebnis doch auf Ersatz des entgangenen Gewinns hinaus.
Verjährung
Ansprüche aus Staatshaftung verjähren gemäß § 195 BGB innerhalb von drei Jahren, müssten also bis zum 31.12.2022 gerichtlich geltend gemacht werden. Durch Klageerhebung wird die Verjährung nach § 204 GB gehemmt.